Positionen des Aktionsnetzwerkes Jena zur erfolgreichen Verhinderung des Naziaufmarsches am 19.2.2011 in Dresden durch das Bündnis „Nazifrei!- Dresden stellt sich quer“

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Die Blockade des Naziaufmarsches am 13.2.2010 war ein großer politischer Erfolg. Die Verhinderung des Naziaufmarsches am 19.2.2011 war ein politischer Sieg. Seit 2009 hat sich Dresden zum Kulminationspunkt der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um Nazi-Aufmärsche entwickelt. Verhandelt werden die Legitimität von zivilem Ungehorsam, juristische Verbote, die politische Praxis kommunaler Entscheidungsträger und ihrer Verwaltung sowie das polizeiliche Handeln.

Die Intensität der Auseinandersetzung führt inzwischen dazu, dass Teile des Establishments beginnen, sich an dieser Frage in praktischen Widerspruch zu bürgerlichen Ordnungsvorstellungen zu setzen. Dabei werden der Takt und das Niveau der Auseinandersetzung in seltener Gleichberechtigung gemeinsam von Akteuren aus parlamentarischen und außerparlamentarischen Gruppen bestimmt.

Mit der Repression gegen Dresden-Nazifrei und den ankündigten Verfahren gegen BlockiererInnen eröffnet die Justiz nun nach ihrer Niederlage am 19.2. ein neues Feld, in dem es uns gelingen kann, den Graben zwischen autoritärer, etatistischer Praxis auf der einen und autonomer Zivilgesellschaft auf der anderen Seite zu vertiefen. Eine Chance für eine emanzipatorische, solidarische, auf Transformation gerichtete gesellschaftliche Bewegung.

Wie bereits 2010 halten wir es für lohnenswert, auch 2011 die Erfolgskriterien genauer zu betrachten und auf ihre Anwendbarkeit in anderen politischen Bewegungen hin zu überprüfen.

2010

Nach den Blockaden rund um den Neustädter Bahnhof 2010 blieb bei vielen der AntifaschistInnen neben dem Hochgefühl, erfolgreich blockiert zu haben, auch ein letzter Zweifel inwieweit die Polizei nicht dieses Szenario genauso eingeplant hatte.

Wie bereits 2010 in den sieben Thesen von Dresden-Nazifrei beschrieben, war auch dieses Polizeiverhalten ein Ausdruck eines Kräfteverhältnisses, das im Vorfeld zu unseren Gunsten verschoben worden war und das mit 10.000 BlockiererInnen erst die Möglichkeit schuf, den Naziaufmarsch abzuwenden.

2011

In der breiten Auseinandersetzung um den Naziaufmarsch schaltete sich dieses Jahr vermehrt eine Law-and-Order-Fraktion ein. Wie bereits 2002 in Frankfurt und 2005 in Jena, intervenierten Verwaltungsrichter nach erfolgreichen Blockaden und erlegten der Polizei eine Durchsetzung des Naziaufmarsches mit allen Mitteln auf.

Die politische Intervention in Dresden ging so weit, dass der vorsitzende Richter selbst die Menschenkette am 13.2. als demokratieschädlich bezeichnete. Folgerichtig ging das VG für den 19.2. auch nicht auf die aus rein polizeitaktischen Gründen erfolgte Beschränkung der drei Nazirouten auf eine Route ein und gab die drei Routen am 17.2. frei. Damit waren die ein halbes Jahr lang erarbeiteten Einsatzplanungen der Polizei und die dem zugrunde liegenden, vorbereiteten Szenarien mit einem Federstrich vom Tisch gefegt. Damit und mit der inhärenten Unfähigkeit des Polizeiapparats solche Großlagen als Ad-hoc-Lage zu meistern war der Keim für die Möglichkeit eines polizeilichen Desasters am 19.2. gelegt.

Erfolgskriterien

Anders als vielen anderen breiten Bündnissen in anderen politischen Feldern war es Dresden-Nazifrei in einem halben Jahr politischer Arbeit gelungen, erneut die Voraussetzungen für einen politischen Erfolg zu schaffen:

  • Die Gruppen aus dem bürgerlichen Lager ließen sich nicht in das Bündnis der Oberbürgermeisterin reintegrieren und bestanden auf Blockaden.
  • Die Antifa-Gruppen ließen sich trotz Kritik aus ihren Reihen nicht davon abbringen, auf einem Bündnis mit den bürgerlichen Gruppen zu beharren.
  • Die Öffentlichkeitsarbeit wurde intensiviert und konnte auf eine viel größere Offenheit der bürgerlichen Medien aufsetzen.
  • Linke, Grüne und Teile der SPD begaben sich verstärkt in das Bündnis ohne einen Führungsanspruch zu reklamieren und legten Parteieitelkeiten beiseite.
  • Die bundesweite Mobilisierung konnte von 10.000 auf 15.000 Menschen und die der Dresdner von 2000 auf 5000 Menschen gesteigert werden.
  • Das Vertrauen in eine koordinierte Anreise mit Konvois und koordiniertes Agieren in Aktionsfingern konnte hergestellt und aufrecht erhalten werden.
  • Das Bündnis konnte auch in der Aufregung der letzten 24 Stunden die richtigen strategischen und taktischen Entscheidungen treffen,
  • Die Entschlossenheit zu den Blockadepunkten zu kommen, die sich beim  Durchbrechen polizeilicher Absperrungen zeigte, konnte auch durch massenhaften Einsatz von Polizeiknüppeln und Pfefferspray nicht zerstört werden.
  • Das Nebeneinander unterschiedlicher Aktionsformen machte es der Polizei trotz brutalster Versuche unmöglich, eine gesicherte Aufmarschroute für die Nazis zu schaffen.

Perspektiven

In der Nachbereitung des 14.2.2010 diskutierten wir u. a. die Frage, ob Blockaden lediglich der Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten des Establishments dienen werden. Die quasi Implementierung der Blockade in das Einsatzkonzept der Polizei zur Verkürzung des Naziaufmarsches am ersten Mai 2010 in Erfurt schien diese Befürchtung zu bestätigen. Die eskalative Linie von Gerichten, Stadtverwaltung und Polizei in Dresden am 19.2.2011 zeichnet nun hingegen ein auf eine heftige gesellschaftliche Auseinandersetzung hinauslaufendes Szenario.

Das Urteil des VG Weimar vom 17.2.2011, das sich ganz auf der Linie des VG Dresden bewegt, liefert weitere Anzeichen für dieses Szenario. Denkbar sind zukünftig eine weitere Zunahme polizeilicher Gewalt auch gegen „bürgerliche“ BlockiererInnen oder/und eine Zunahme von Verurteilungen. Mittels Abschreckung soll dabei der Ausbreitung des zivilen Ungehorsams von staatlicher Seite entgegengewirkt werden.

Parallel dazu werden die Angebote zu Reintegration zunehmen. Sachsens Innenminister Ulbig wolle Dresden-Nazifrei mit an den Tisch holen und die SPD spricht von einer (!) gemeinsamen Kundgebung in Sicht- und Hörweite der Nazis im Jahr 2012. Ob die SPD glaubt, damit Blockaden legalisieren zu können – ein Ring von legalen Kundgebungen um eine Nazi-Kundgebung – oder ob damit bürgerliches Potential vom Blockieren abgehalten werden soll – eine Kundgebung in Sichtweite der Nazi-Demo –, ist uns momentan nicht klar.

Herausforderungen

In den nächsten Monaten stehen wir vor mehreren Aufgaben:

  1. Wie verankern wir Positionen des zivilen Ungehorsams weiter in der Dresdner Zivilgesellschaft und schaffen handlungsfähige Strukturen für 2012?
  2. Wie können wir die bundesweite Unterstützung auf ein Maß zurückfahren, dass auswärtige Gruppen wieder ihre originäre Arbeit machen können, ohne das Dresdener Gruppen von der gemeinsam geschaffenen Situation überfordert sind?
  3. Wie wehren wir die zu erwartende Repression ab?
  4. Der gemeinsam formulierte Aktionskonsens schuf erst die Möglichkeit zu Spektren übergreifenden Blockaden. Zahlreiche Gruppen vertrauten in die Absprache, dass trotz unterschiedlicher politischen Ausrichtungen, an diesem Tag die Blockaden Menschenblockaden sind und dass von ihnen keine Eskalation ausgeht. Wie sorgen wir dafür, dass wir diesem Vertrauen zukünftig an allen Blockadepunkten von Dresden-Nazifrei gerecht werden?

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