Thesen zum nachhaltigen Erfolg des Blockadekonzepts (Download PDF)

1. Die Nazis: Desaster auf ganzer Linie

  • Ihr habt (nicht nur den Krieg) verloren: Für fast die ganze Naziszene – von der NPD über das Kameradschaftsspektrum bis zu den ANs – war Dresden 2013 der bisherige Tiefpunkt in einer zunehmend eindrucksvolleren Reihe von schweren Niederlagen.

  • Weggeblockt: Dass es eine so herbe Schlappe für sie war, ist ganz wesentlich der Erfolg des Blockadekonzeptes, das diesmal noch besser funktioniert hat als in den Jahren zuvor. Erinnert sei daran, dass wir gegen Nazis nicht aus Spaß mit dem Mittel der Blockade vorgehen, sondern deshalb, weil sie autoritäre Charaktere sind und für ihr Selbstbewusstsein das Gefühl eigener Macht in einer Masse Gleichgesinnter (und im Falle Dresden zudem eine 'würdevolle', andächtige Gedenkstimmung) entscheidend ist. Dieses Erlebnis wurde ihnen dieses Jahr noch gründlicher kaputtgemacht als in den Jahren zuvor – und zwar in mehreren Dimensionen:

    • Zum ersten Mal ging gar nichts: Nachdem Sie 2010 zum ersten Mal bei ihrer Großdemo nicht laufen konnten, sich 2011 mit ihrem Fackelmarsch begnügen mussten und diesen 2012 nur verkürzt in einem eng umgrenzten abgegitterten Bereich ablaufen konnten, ist es den Nazis 2013 zum ersten Mal überhaupt nicht gelungen, einen 'geregelten' Marsch abzuhalten.

    • Neue Strategie – neuer Schlag ins Wasser: Die Anmelder wollten diesmal keinen Auftaktpunkt an einem Bahnhof, sondern bestanden auf der dezentralen Anreise zu einem weit von jedem Bahnhof entfernten Punkt, von dem aus dann zumindest der Marsch bis zum nächsten Bahnhof hätte erzwungen werden können. War wohl nichts. Nachdem schon zwei Stunden vorher der Auftaktplatz und die wichtigste Zufahrt dorthin blockiert waren, blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich doch an einem Bahnhof (bzw. an zwei) zu sammeln – und da kamen sie abermals nicht weg.

    • Dresden? Och nöö...: Zudem sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache. Von 7.000 (2009) über geschätzte 3.000 (2011) und 1.500 (2012) auf laut Polizei 670 (2013) – wenn es so weitergeht, ist in spätestens zwei Jahren Schluss.

    • Moral im Keller: Und der Verlauf am 13. wird sicher nicht dazu beitragen, dass sich der Trend umkehrt. Die 400 Nazis vor dem Bahnhof standen ca. drei Stunden in der Unterführung, wurden mit Schneebällen eingedeckt und wunderten sich, dass ihnen nicht der Weg freigeprügelt wird. Das Häuflein aus Strehlen konnte zwar gut einen Kilometer laufen (in dem Glauben, zum Auftaktpunkt gebracht zu werden), war dann aber ebenfalls stundenlang von 3.000 Leuten eingekesselt, die direkt nebendran lautstark Party machten. Die Durchhalteparolen von Pastörs und Schmidtke im Kessel ändern nichts dran: Das war krass demoralisierend.

    • Ohnmächtige Wut: Dem entsprechen auch die Reaktionen der Naziszene in einschlägigen Online-Foren in den Tagen danach. Ansätze zur Selbstzerfleischung mischen sich mit Stalingrad-Vergleichen, rachedürstenden Gewaltphantasien gegenüber den BlockiererInnen und wütenden „Rechtsbruch“-Vorwürfen gegen Stadt und Polizei. So reagieren Nazis, wenn's wirklich weh tut.

  • Neue Konzepte? Natürlich wird sofort auch der Ruf nach veränderten Konzepten für das „Gedenken“ laut: Nazis fordern dezentrale Aktionen, ein Unterwandern der Menschenkette und was nicht noch alles. Sicher, es ist denkbar, dass die sich jetzt war anderes ausdenken, was dann schwerer zu behindern sein wird. Nur: Das haben sie in den letzten drei Jahren auch jedes Mal angekündigt – und draus gefolgt ist nichts, abgesehen von der Festlegung eines anderen Startpunkts dieses Jahr.

    • Das kann auch nichts werden: Zugespitzt gesagt, könnte man behaupten, dass Nazis wegen ihrer Autoritätshörigkeit und ihres starren Führerprinzips einfach strukturell nicht in der Lage sind, entscheidend flexibler zu agieren als wir es in den letzten Jahren erlebt haben. Das haben wir diesmal gesehen: Die Gruppe am Hauptbahnhof war ohne Anmelder und NPD- Größen quasi kopflos und wartete im wesentlichen darauf, dass einer kommt und Ansagen macht. Und an der Parkstraße sollen die Nazis vor einer zu dem Zeitpunkt noch recht kleinen Blockade zum Stehen gekommen sein, statt einfach außen rum zu gehen – weil der Anführer sie nicht dazu aufforderte. Wie soll ein solcher Haufen denn eine so anspruchsvolle Koordinationsleistung hinbekommen? Das soll jetzt nicht heißen, wir sollten uns zurücklehnen (ein Teil der ANs etwa dürfte zu manchem fähig sein) – aber allzu viel zu befürchten, wäre auch fehl am Platz.

2. Die Polizei: Verhältnismäßigkeit reloaded

  • Tun, was man sagt: Trotz mancher Abweichungen im Detail hat sich die Polizei sehr weitgehend an die im Vorfeld von Kroll in Aussicht gestellte Linie gehalten und es vermieden, 'für die Nazis zu kämpfen'. Bis auf ein paar Ausnahmen wurde nicht der Konflikt mit BlockiererInnen gesucht, die Nazis dagegen wurden in für sie überraschender Weise härter angefasst als sonst.

  • Minimalprogramm: Zum Abriegeln der geplanten Naziroute und zum Schutz der Nazis hat die Polizeiführung das unternommen, was sie tun musste, um sich bei einer zu erwartenden Klage rechtfertigen zu können – und nicht viel mehr. Gegittert wurde nur punktuell (und nicht wie 2012 großflächig), das engere Aufmarschgebiet wurde abgeriegelt, aber die Räume außenrum blieben zugänglich, größere Blockaden wurden nicht geräumt, sondern als Hindernis akzeptiert, und Wasserwerfer etc. blieben im Hintergrund. Hätten sie den Marsch ernsthaft durchsetzen wollen, hätte all das ganz anders ausgesehen.

  • Deeskalation: Es gab einige Situationen, die kurzzeitig eskalierten (Güntzstraße, Hauptbahnhof, Blockade Lennéplatz), doch kamen diese auch immer wieder schnell zur Ruhe. Das liegt (auch) daran, dass die Polizei relativ gelassen reagiert hat und nicht jeder Schneeballwurf als 'Gewalttat' gewertet wurde.

  • A force to be reckoned with: Entscheidend ist allerdings auch die Vorgeschichte. Dass die Polizei (und indirekt die Landesregierung) sich 2012 und 2013 quasi auf Verhandlungen mit Dresden Nazifrei eingelassen haben, ist nicht zuletzt eine Folge der Machtprobe von 2011. Dass die Polizei damals auch mit 6000 Beamten, Wasserwerfern und Hubschraubern nicht in der Lage war, sich innerstädtisch gegen ein hoch organisiertes, entschlossenes und breites Bündnis von der Thierse-SPD über Gewerkschaften und Aktionsnetzwerk bis zur ALB durchzusetzen, war ein einschneidendes Erlebnis. Bei allen Kosten (Schwerverletzte, Bußgelder, noch offene Strafverfahren) haben sich die Machtverhältnisse zunächst zu unseren Gunsten verschoben. Dass es zudem durch die in der Zwischenzeit verfolgte Kriminalisierungsstrategie, die laufenden Verfahren usw. nicht gelungen ist, die Solidarität des Bündnisses zu brechen, beweist, dass diese Verschiebung auch von Dauer ist. Wir stehen in dieser Macht-Gegenmachtkonstellation, wie immer in der Geschichte sozialer Bewegungen, auf den Schultern unserer VorgängerInnen.

  • Das neue 'verhältnismäßig': Das wahrscheinlich Bemerkenswerteste an der Polizeistrategie in diesem Jahr ist die veränderte Auslegung von Verhältnismäßigkeit, die ihr zugrunde lag. Während es bisher in der Regel als verhältnismäßig galt, Blockaden von bis zu einigen hundert Leuten zu räumen, um die Nazis laufen zu lassen, wurde der Einsatz polizeilicher Gewalt in größerem Umfang (die Grenzwerte lassen sich etwa anhand der Lennéplatz- Situation ermessen) dieses Jahr nicht als angemessenes Mittel zur Durchsetzung des Demonstrationsrechts von Nazis bewertet. Neu ist dabei weniger, dass in konkreten Situationen vor Ort nicht auf Räumung gesetzt wurde (das haben wir auch 2010 schon gesehen), sondern dass das auch auf polizeilicher Führungsebene öffentlich als die verfolgte Linie vertreten wurde. Dass die Verantwortlichen entgegen aller bisherigen (bundesweiten) Gepflogenheiten und auch auf das Risiko einer späteren Verurteilung durch die Verwaltungsgerichte diesen Schritt gegangen sind, ist in seinen Auswirkungen kaum zu überschätzen. Nicht nur, dass diese Linie ausgerechnet in der schwärzesten Ecke der BRD angewandt wurde und alle sehen können, dass sie erfolgreich war: Seither hat sich gezeigt, dass diese Interpretation des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes derzeit nicht nur in Sachsen zur Normalität zu werden scheint (s. Chemnitz), sondern in Windeseile auch in anderen Bundesländern AnhängerInnen gefunden hat. Wenn schon im schwarzen Sachsen so agiert wird, hat man sich offenbar in Cottbus und Mannheim gedacht, dann können Bundesländer mit anderen politischen Mehrheiten da nicht hinter zurückbleiben. Einstweilen weht hier also jetzt (das Beispiel Pforzheim zeigt aber: nicht überall) ein anderer Wind – aber wie lange das so bleibt, ist unklar. Denn früher oder später sind Gerichtsurteile zu erwarten, die dieser Interpretation wahrscheinlich nicht folgen werden.

3. Die Politik: „weltoffenes Sachsen“ – Nazis stören nur

  • „Zeichen setzen“, BlockiererInnen rügen: Die Landesregierung hat sich bei der Menschenkette ablichten lassen, mit (angeblichen) 10.000 demonstriert, wie „weltoffen“ Sachsen ist – und die BlockiererInnen als Leute mit einem problematischen Demokratieverständnis gerügt (deren Erfolge ihr dennoch zupass kamen). Erneut wurde die Menschenkette als couragierter Einsatz gegen die Rechtsextremen präsentiert – während den wirklichen Einsatz anderswo gerade die so Gerügten leisteten.

  • Schön in der Deckung bleiben: Interessant ist schon, dass die argumentative 'Drecksarbeit' dem Polizeipräsidenten Kroll überlassen wurde, während sich Innenminister Ulbig auffällig unauffällig im Hintergrund hielt. Eine Polizeistrategie wie die in diesem Jahr praktizierte wäre ohne Rückendeckung aus dem Ministerium nicht möglich gewesen – aber damit identifiziert werden will der Minister nicht. Zu groß ist wohl die Angst, im Fall einer erfolgreichen Klage der Nazis als heimlicher Unterstützer 'linksextremer Umtriebe' am Pranger zu stehen – oder dafür gar bei der nächsten Wahl auch noch bei seiner Klientel Stimmen zu verlieren...

  • Defensive durch langjähriges Versagen: Neben der Arbeit von Dresden Nazifrei muss aber noch ein weiterer Grund für die gegenwärtig veränderte Haltung der Landesregierung(en) zu Nazis und Blockaden erwähnt werden: Die Schockwellen öffentlicher Empörung rund um den NSU, die immer noch und immer wieder durch die Medien laufen. Jedes Mal wird dabei konservativen PolitikerInnen ihre jahrelange Verharmlosung der extremen Rechten und damit ihre Mitschuld als Spiegel vorgehalten. Die pauschale Gleichsetzung „links=rechts=Extremismus“, die lange jeden Einsatz gegen uns legitimierte, ist dabei kaum noch vermittelbar. Auch die Empörung innerhalb des Polizeiapparats, bis hin zum Loyalitätsbruch gegenüber dem Dienstherren, dürfte bei den taktischen Erwägungen im Umgang mit den Blockaden – sowohl seitens der Landespolitik als auch seitens der Polizeiführung – eine Rolle spielen.

  • Richtungswechsel? Dass die sächsische CDU es im Moment nicht mehr für opportun hält, im Zusammenhang mit dem 13.02. von „rechten und linken Extremisten“ zu sprechen und gerade gegen letztere mit aller Härte vorgehen zu lassen, bedeutet freilich nicht, dass auch die Justiz zurückgepfiffen würde: Die aus den vergangenen Jahren anhängigen Verfahren werden unbeirrt weitergeführt, und auch die ganz offensichtlich gezielte Praxis, harte Urteile und Prozesstermine in direkter zeitlicher Nähe vor dem 13.02. zu verkünden, entsprach diesmal genau dem Bild der letzten Jahre. Dass es nun nicht zu einer weiteren Welle von Verfahren kommt, liegt nur daran, dass die Polizei (fast) keine weiteren 'linken Gewalttäter' geliefert hat. Dennoch: So, wie die Justiz in Sachsen und insbesondere Dresden weiterhin drauf ist, wird sie jede Gelegenheit nutzen, um etwa der Polizeiführung an den Karren zu fahren. Die Regierung wird sie daran nicht hindern.

4. Die Stadt: Die Hegemonie kippt

  • Gedenken? Nicht mehr ohne Wenn und Aber: Der Dresdner Gedenkdiskurs, den nicht nur das Bündnis Dresden Nazifrei seit Jahren scharf kritisiert hat, ist immer noch präsent, und er ist immer noch nicht schön. Nach wie vor geht es vielen DresdnerInnen vor allem darum, die Opfer der Bombardierung und die Zerstörung der Stadt zu betrauern und alles auszublenden, was dabei stören könnte. Aber es ist auch nicht zu leugnen, dass sich in der offiziellen Rhetorik und in den Formen der Gedenkveranstaltungen einiges geändert hat. Unter dem Druck der Proteste wurde das Prozedere am Heidefriedhof verändert, um den Nazis die Teilnahme zu vergällen, in den Trauerreden der Oberbürgermeisterin folgt im gleichen Atemzug der Hinweis auf die deutsche Kriegsschuld, und auch die Repression gegen die offensive Thematisierung der Naziverbrechen durch den Mahngang „Täterspuren“ wurde aufgegeben. Das Feld des Sagbaren und Machbaren hat sich in den letzten Jahren verschoben, und das ist ein Erfolg der beharrlichen Arbeit des Bündnisses. Die Wut über die Take That-Fans zeigt, dass gerade in den älteren, konservativen Milieus der Stadt die alten Denkmuster unverändert sind – aber die RepräsentantInnen der Stadt scheinen auch zu wissen, dass die nicht mehr in der Mehrheit sind. Mit dem Mahngang, der inzwischen zu einer der größten angemeldeten Kundgebungen des Tages geworden ist und immerhin auf ein Drittel der Teilnehmendenzahl der Menschenkette kam (darunter weit überwiegend DresdnerInnen!), ist es dem Bündnis auch gelungen, jenseits der Auseinandersetzung um die Nazis dem Dresdner Opferdiskurs auf gleicher Ebene etwas entgegenzusetzen.

  • Indirekte Dialogbereitschaft: Mit der AG 13. Februar hat sich die Stadt eine Art ausgelagerte Kontaktstelle geschaffen, über die sie indirekt in einen Dialog mit dem Bündnis Dresden Nazifrei getreten ist. Der Leiter der Landeszentrale als CDU-naher Parteiloser war als Sprecher dieser AG schlau gewählt – Orosz musste sich nicht selbst darauf einlassen, mit dem Bündnis zu reden, konnte aber jemanden vorschieben, der das ohne größere politische Risiken tun konnte. War es deshalb falsch, mit denen zu reden? Nein. Es ging dem Bündnis von Anfang an darum, eine stärkere und längerfristige gesellschaftlich-politische Wirksamkeit zu entfalten. Dass die Stadt es nun offenbar nicht mehr länger legitimieren konnte, das Bündnis als gewaltbereiten Haufen von ExtremistInnen hinzustellen, sondern sich sogar gezwungen sah, ihm über die AG Respekt aussprechen zu lassen, ist ein Zeichen dafür, dass das gelungen ist.

  • Wenn's zum Hetzen einfach keinen Stoff mehr gibt: Auch in der Lokalpresse hat sich was bewegt, wenn auch nur langsam. Solange auch nur eine einzige Flasche fliegt, werden Bild und Sächsische Zeitung zwar wohl auch weiterhin als erstes die Gewalt anprangern und die „Chaoten“ schelten – aber selbst die konservativen Kommentatoren von DNN und Freier Presse konnten nicht umhin, anzuerkennen, dass es die Blockaden waren, die die Nazis in den letzten Jahren immer weiter geschwächt haben. Eine freundliche Berichterstattung über das Bündnis wird zwar weiter die Ausnahme bleiben (wobei das in so Nischen wie der Onlineredaktion der DNN vorkam), aber die reine Verteufelungsstrategie früherer Jahre geht auch nicht mehr.

  • Menschenkette und Blockaden? Nicht für alle ein Widerspruch: Von den angeblich 10.000 Menschen, die an der Menschenkette teilgenommen haben, haben sich danach um die 2.000 Richtung Bahnhof bewegt, um sich den Blockaden anzuschließen. Damit setzte sich eine Tendenz fort, die schon 2011 und 2012 in wachsendem Umfang zu beobachten war. Die Frontstellung von 2010, als die Menschenkette seitens der Stadtverwaltung mehr oder weniger explizit als Gegenaktion zu den Blockaden ins Leben gerufen worden war, hat sich weitgehend aufgelöst. Auch wenn viele aus dem organisierten Kern des Bündnisses der Menschenkette wegen der mit ihr verbundenen Gedenkpolitik weiterhin kritisch gegenüberstehen und da nicht hingehen würden, wird da auf der 'anderen Seite' auf Basisebene von vielen kein Widerspruch (mehr) gesehen. Die Menschenkette hatte – auch schon in den vergangenen Jahren, aber diesmal noch verstärkt – nicht nur eine, sondern mehrere miteinander verbundene Botschaften. Ein Teil der Leute ist sicher da hingegangen, weil sie die Menschenkette als Selbstbestätigung des trauernden Dresden gegen die von außen aufgezwungene Politisierung des Tages sahen – das geht aus Fernsehinterviews mit Teilnehmenden hervor, und es war auch von der Stadt als mobilisierendes Element so gewollt. Die andere, auch durch Orosz diesmal noch stärker betonte Botschaft war aber die des „Zeichensetzens“ – und zwar nicht wie noch vor ein paar Jahren gegen „Extremisten von Rechts und Links“, sondern eindeutig gegen die Nazis. Einigen Tausend Leuten scheint dieses Zeichen wichtig, aber nicht genug gewesen zu sein. Es war richtig, sie – wie im letzten Jahr – mit Flyeraktionen und Megaphonaufrufen 'abzuholen' und so auch von unserer Seite deutlich zu machen, dass auch sie bei den Blockaden gerne gesehen sind. Dass so viele mitkamen, ist aber nur dadurch erklärbar, dass die meisten das von Anfang an auch vorhatten. Wenn es uns ernst ist damit, eine breitere gesellschaftliche Wirksamkeit zu entfalten, dann sollte das Anlass zur Freude geben.

5. Dresden Nazifrei: Mensch muss auch mal gewinnen können...

  • Wir sind viel stärker, als wir selber dachten: Die für das Bündnis und die in ihm Aktiven wichtigste Lehre aus dem 13.02.2013 wird daran deutlich, dass die Zahl derer, die sich an diesem Tag an den Blockaden beteiligt haben, selbst unsere optimistischsten Erwartungen weit übertroffen hat. Das kommt schon in der tiefgestapelten Zahl zum Ausdruck, mit der die Pressegruppe selbst nach außen gegangen ist. 4.500 Leute waren es schon dann, wenn mensch nur von den 3.000 vom Mahngang plus 1.500 von der Menschenkette ausgeht (niedrig angesetzt, um eventuelle Leute zu berücksichtigen, die vom Mahngang zur Menschenkette weiter- oder nach dem Mahngang nach Hause gegangen sind). Dann ist aber erst ein Teil der etwa 1.000 mit Bussen von außerhalb angereisten Leute mitgerechnet (die meisten Busse kamen erst nach dem Mahngang an), ebenso wenig die anscheinend erhebliche Zahl derer, die sich einfach so, ohne Mahngang oder Menschenkette, an den Kundgebungen und Blockadepunkten einfanden. Berücksichtigt mensch das alles, scheint eine Gesamtzahl von 6- 7.000 Leuten, die sich an den Blockaden beteiligt oder in ihrem direkten Umfeld bewegt haben, nicht zu hoch gegriffen. Damit hatte niemand von uns gerechnet, und viele waren völlig baff darüber, wo denn die ganzen Leute hergekommen waren. Die Antwort: Diese für uns selbst überraschende Mobilisierungsfähigkeit ist der Erfolg der jahrelangen diskursiven (Pressearbeit, politische Auseinandersetzungen im Vorfeld, Antirepressionskampagnen) und praktischen (jedes Jahr wieder als berechenbar, attraktiv und unterstützenswert erlebbare Blockadeaktionen) Arbeit des Bündnisses. Das führt zur nächsten Feststellung:

  • Dresden kann es jetzt auch aus eigener Kraft. Gerade bei den in der Stadt Aktiven hatten sich erhebliche Befürchtungen daran geknüpft, dass in diesem Jahr die aufwendige, für viele Einzelpersonen extrem aufreibende bundesweite Unterstützungsarbeit nicht mehr erbracht werden konnte und die Verantwortung nun (fast) voll in der Stadt selbst lag. Der Verlauf, den der Tag genommen hat, sollte alle im Bündnis davon überzeugen, dass sie jetzt auch ohne diese Hilfe zu erfolgreichem politischem Agieren mit breiter Unterstützung in der Lage sind. Dresden Nazifrei hat nicht nur in den Köpfen eines Teils der Dresdner Bevölkerung etwas verändert, sondern es auch geschafft, eine beachtliche Zahl der TrägerInnen dieser Köpfe zum aktiven Handeln zu bewegen. Dafür verantwortlich sind – muss es noch mal gesagt werden? – die beharrliche Überzeugungsarbeit, das transparente, offene und anschlussfähige Aktionskonzept und die mehrjährige Anschauung, dass dieses funktioniert und Erfolg bringt. An dieser Verschiebung in den Köpfen und dieser gewachsenen Handlungsbereitschaft ändert auch nichts, dass der Erfolg in diesem Jahr nicht mehr im offenen Konflikt mit der Polizei erkämpft werden musste.

  • Infrastruktur + Selbstorganisationsfähigkeit = Erfolg: Die Infrastruktur des Bündnisses hat sicher nicht perfekt, aber doch so weit funktioniert, dass die meisten der Leute auf der Straße eine Vorstellung hatten, was um sie herum passiert, und sich klar darüber orientieren konnten, wo sie gerade gebraucht wurden (das legen zumindest die vielen positiven Kommentare auf der Facebook-Seite des Bündnisses nahe). Die Kommunikationsstrukturen, die sich vor Ort befanden, waren wichtig, aber mehrere entscheidende Blockadepunkte kamen auch ohne ihr Zutun zustande – einfach, weil sich gerade in der Gegend um den Hauptbahnhof viele Leute bewegten, die selbst in der Lage waren, die Informationen und die Lage um sie herum zu interpretieren und selbst gemeinsam angemessen zu handeln. Auch wenn KritikerInnen anderes behaupten: So sieht das Blockadekonzept aus, wenn es wirklich aufgeht, und in diese Richtung wird es sich hoffentlich auch weiter entwickeln. Es geht eben nicht darum, dass eine zentrale Befehlsinstanz hunderten Leuten vorschreibt, wo sie zu sein und was sie zu tun haben, sondern darum, die Leute vor Ort zu gemeinsamem Handeln zu befähigen und ihnen die Informationen zu geben, die sie dafür brauchen. Die Vor-Ort-Strukturen des Bündnisses sind dabei oft eine wichtige Hilfe – aber wenn es auch mal ohne sie geht, sollten wir das als genau das ansehen, was wir erreichen wollten.

  • Der Aktionskonsens: Kaum thematisiert, breit eingehalten. Anders als 2010 und 2011 gab es im Vorfeld keine nennenswerte Kritik am oder Diskussionen über den Aktionskonsens. Dass er dennoch am 13. den ganzen Tag lang fast immer eingehalten wurde, ist wahrscheinlich wegen und nicht trotz dieser Nicht- Thematisierung der Fall. Der Aktionskonsens wurde eingehalten, weil er bei den meisten der Leute vor Ort eben das war: Konsens. Ohne Zweifel hat auch die weitgehende Vermeidung von Eskalation durch die Polizei diesen Verlauf gefördert. Aber gleichzeitig bedeutete auch die zahlenmäßige Stärke derer, die den Aktionskonsens teilten, dass es anderen offenbar schwerer fiel, sich darüber hinwegzusetzen.

  • Jetzt wäre der Zeitpunkt...: Aus Jenaer Sicht kann uns die jetzige Situation in Dresden durchaus bekannt vorkommen. Durch eine breite und erfolgreiche Mobilisierung zu Blockaden ist es gelungen, eine Veränderung in den Köpfen der Menschen in der Stadt und unter Beteiligung von vielen dieser Menschen einen großen Erfolg gegen die Nazis zu erreichen. Vielleicht ist der Mobilisierungsgrad, der dieses Jahr in Dresden erreicht wurde, nicht ganz so hoch wie 2008 in Jena, aber immerhin haben sich 1-2% der Dresdner Bevölkerung beteiligt. Die Kraft dieses kollektiven Erfolgserlebnisses war es damals, mit der im Rücken das Aktionsnetzwerk gegründet wurde: Als offene Plattform für alle, die weiter gemeinsam aktiv werden wollten, und als von Lokalpolitik, Parteien und anderen Großorganisationen unabhängiges reines Personenbündnis, das von nichts anderem lebt als der Bereitschaft vieler zum gemeinsamen Handeln. Dass dieser Schritt entscheidend war für den Grad an Handlungsfähigkeit unsererseits und für die fast bis zur Bedeutungslosigkeit gehende Schwächung der organisierten Nazis in Jena, steht für uns außer Frage. Es steht uns nicht an, den DresdnerInnen gute Ratschläge zu geben – aber darauf hingewiesen sei doch: Das ist die Art von Situation, in der eine solche Plattform kollektiven und organisierten, aber nicht institutionengebundenen Handelns ausgehend von der vorhandenen Motivation und dem Erlebnis des gemeinsamen Erfolgs ungeahnte Kraft entwickeln kann.

6. Wir: Schwung mitnehmen, Hausaufgaben machen

  • Für diejenigen, die aus Jena und Thüringen nach Dresden gefahren sind, war es zum ersten Mal seit langem wieder ein größeres Erfolgserlebnis. Das liegt nicht daran, dass wir in Thüringen in letzter Zeit nur verloren hätten, sondern nicht zuletzt daran, dass es – mit Ausnahme der für uns eher durchwachsen abgelaufenen Nazikonzerte in Gera – kaum größere Aktionen der Nazis gab. Die Nazis sind, auch durch unsere Arbeit, nicht mehr in der Lage öffentlich organisiert aufzutreten. Sie haben erheblich an Handlungsfähigkeit und Einfluss verloren. Die von ihnen ausgehende Gefahr, als organisierte Kraft an den Nationalismus und Rassismus in den Köpfen vieler Menschen anzuknüpfen und diesen kampagnenförmig erfolgreich umzusetzen (Abschaffung Asylrecht, Verhinderung Doppelte Staatsbürgerschaft) ist vorerst deutlich geringer geworden. Für viele, die sich im Feindbild gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit befinden, bleibt jedoch eine unterschwellige Alltagsbedrohung und partiell offene Diskriminierung, auch in Jena. Gleichzeitig steht mit dem „Thüringentag“ am 8. Juni in Kahla etwas an, das wir kaum ignorieren können. Denn auch wenn das auf Naziseite voraussichtlich keine Massenveranstaltung wird: Kahla ist der Stützpunkt der in Jena inzwischen praktisch nicht mehr öffentlich agierenden Nazis aus dem Umfeld des früheren NSU. Wir reden seit Jahren darüber, dass es in Jena vielleicht besser geworden ist, aber im Umland weiter ein großes Naziproblem besteht – hier ist die Möglichkeit, das endlich anzugehen. Wir sollten jetzt, mit dem Erfolgserlebnis von Dresden und dem dort einmal mehr erbrachten Nachweis des Erfolgs unseres Aktionskonzepts im Rücken, daran gehen, auch in Kahla (und darüber hinaus im ländlichen Raum) die dicken Bretter zu bohren, die auch in Dresden inzwischen große Löcher haben.

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