Der Soziologe Prof. Klaus Dörre über die Bedeutung des Jenaer Aktionsnetzwerkes gegen Rechtsextremismus in der Post-Demokratie
Von OTZ-Redakteur Frank Döbert Jena. Eine Riesentorte, ein tolles Büfett, Sekt und Musik waren die äußeren Zeichen dafür, dass am Freitag Abend im Ricarda-Huch-Haus gefeiert wurde. Für einen 1. Geburtstag waren immerhin eine ganze Menge Leute gekommen - vor allem die, die das Jenaer Aktionsnetzwerk gegen Rechtsextremismus seit einem Jahr mit Leben erfüllen.

Die Laudatio auf das Geburtstagskind kam aus berufenem Munde: Wer als ein Soziologe könnte besser formulieren, was da in Jena vor einem Jahr passiert ist und wie das zu werten ist. Prof. Klaus Dörre brachte seine Analyse auf den Punkt: Für ihn sei schon die Aktion zur Geburtsstunde des Netzwerkes ein "Glanzlicht gelebter Demokratie" gewesen. Während die NPD-Demo am "Hess-Tag" noch geradezu ohnmächtig hingenommen werden musste, die Polizei keinen Anlass sah, sie aufzulösen, wurden andererseits die Gegendemonstranten regelrecht eingekesselt. "Nicht die Neonazis, sondern wir schienen die eigentliche Bedrohung zu sein", sagte Prof. Dörre. Doch dann protestierten am 6.9.2007 2000 Menschen gegen die Neonazis und übten sich im zivilen Ungehorsam. Nicht nur die "üblichen Verdächtigen", sondern viele honorige Repräsentanten aus der bürgerlichen Mitte. Das Ergebnis: "Wir hatten nicht nur protestiert, sondern den Nazis tatsächlich die Stirn geboten."

Vorausgegangen war eine monatelange Vorbereitung, die mit einem Paradigmenwechsel einher gegangen sei: Nicht mehr "konspirativ", sondern offen sei die Blockade der Neonazi-Veranstaltung vorbereitet und propagiert worden. Die auch von bekannten Namen getragene Unterstützungswelle für dieses Vorgehen trug maßgeblich zum Gelingen der Fünf-Finger-Blockade-Strategie bei. Anders als einer seiner Kollegen aus der universitären Philosophie, der daraufhin glaubte, die "Regelverletzung" der Gegendemonstranten mit der Infragestellung des Rechtsstaates durch die Neonazis vergleichen zu müssen, stellte Prof. Dörre ganz klar heraus: "Die dort praktizierten Akte friedlichen zivilen Ungehorsams haben nicht das Geringste mit der Infragestellung des Rechtsstaates, sehr viel aber mit aktiver Umkehrung postdemokratischer Tendenzen zu tun", erklärte er.

Diese von dem britischen Soziologen Colin Crouch postulierte "Post-Democracy" zeichne sich u.a. durch das "Ermattung" der zivilgesellschaftlichen Akteure aus. Die Gesellschaften tendierten dazu, Entscheidungen Öko-Eliten, Expertokratien und Beraterstäben zu überlassen, Demoskopen und Werbeagenturen würden zunehmend wichtiger als Parteiprogramme und Mitglieder, demokratische Prozeduren erschöpften sich immer mehr in bloßen Wahlakten. Die Aktivitäten des Netzwerkes bestätigten jedoch, dass es vor Ort "höchst praktische und demokratiefördernde Antworten" auf den post-demokratischen Trend gebe. Das Netzwerk sei über Jena hinaus - wie auch das Vernetzungstreffen am Wochenende in Weimar zeigte - zu einem unverzichtbaren Faktor der demokratischen Zivilgesellschaft geworden. "Hätte ich einen Demokratiepreis zu vergeben, das Netzwerk und seine Initiatoren wären mein Favorit", bekannte Prof. Dörre. Aber auch ohne den Preis gab es viel Beifall und noch mehr zu feiern.